12 I Gedenkstätten in gesellschafts­politischer Aktion und Reaktion

PANEL komplett abgesagt
Ersatzprogramm:
Gespräch mit der Kuratorin der Ausstellung: "Hugo Portisch fragt nach. Das Jahr 1938 in Interviews"

5. April 2018
16:15–17:45
Seminarraum 8


Christiane Heß (Fürstenberg an der Havel)
Dinge – Beziehungen – Netzwerke: Über widerständige Objekte in den Sammlungen der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen 


Christian Dürr (Wien)
Was bleibt? Erfahrungen gegenwartsbezogener Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen  


Florian Schwanninger (Hartheim)
Jenseits des Nationalsozialismus. Der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim als Ort der Vermittlung ethischer und behindertenpolitischer Fragestellungen

 

Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen waren stets gesellschaftspolitische Akteure, die ihre Aktivitäten sowohl auf die Vergangenheit, als auch (etwa im „Mahnen“ gegen die Wiederkehr des Vergangenen) auf die Gegenwart bezogen. Je weiter die NS-Zeit aber in die Vergangenheit rückt, desto undeutlicher werden die gegenwartsbezogenen Aufgaben. Welche Art von Bezügen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind wissenschaftlich legitim und didaktisch zielführend? Inwieweit sollen NS-Gedenkstätten auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen Bezug nehmen? Was bedeutet dies für die tägliche Arbeit der Gedenkstätten, etwa ihre Ausstellungs- und Sammlungspolitik?

 

Dieses Panel wurde vom ZGT18-Team um einen Vortag erweitert.

 

Chair: Andreas Kranebitter (Wien)

Christiane Heß (Fürstenberg an der Havel): Dinge – Beziehungen – Netzwerke: Über widerständige Objekte in den Sammlungen der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen

Adress- und Notizbücher, bestickte Tücher, verzierte Metall- und Lederarmbänder und andere Artefakte stehen im Mittelpunkt meines Vortrags. Diese kunst-/handwerklichen Dinge wurden von Häftlingen im Verborgenen gefertigt. Retrospektiv werden die Artefakte oftmals vereinheitlicht als Erinnerungsobjekte verstanden und als Ausdruck widerständigen Handelns gelesen. Für eine – neue – „Lesbarkeit der Lager“ (Didi-Huberman 2014) sind sie in ihrer Vielfältigkeit und Multivalenz zu berücksichtigen. Der material cultural turn und eine damit verknüpfte historische und netzwerktheoretische Perspektive ermöglicht, so meine These, neue Erkenntnisse über die Artefakte in Bezug auf die Repräsentativität von Häftlingsgruppen, geschlechtsspezifischer und sozialer bzw. kultureller Praktiken im Lager wie auch hinsichtlich der unterschiedlichen nationalen, erinnerungskulturellen Diskurse nach 1945. Dabei sind der prekäre Zustand der Objekte, die diversen Überlieferungsgeschichten und -lücken, die erinnerten und zerstörten Objekte in einer Analyse mit zu denken.

Christian Dürr (Wien): Was bleibt? Erfahrungen gegenwartsbezogener Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen wurde 2017 aus der jahrzehntelangen Verwaltung durch das Bundesministerium für Inneres herausgelöst und in einer unabhängigen Bundesanstalt institutionell neu verortet. Als internationaler Erinnerungsort und Friedhof erfüllt sie weiterhin die Funktion, die Geschichte des KZ Mauthausen und seiner Außenlager, das Gedenken an dessen Opfer und die Verantwortung der Täter und Zuseher im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Über 70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus stellt sich jedoch vermehrt die Frage nach den gesellschaftspolitischen Aufgaben von KZ-Gedenkstätten in der Gegenwart. Das Referat skizziert die Eckpunkte des „langfristigen Gedenkstättenkonzepts“, mit welchem die KZ-Gedenkstätte Mauthausen in den kommenden Jahren als ein Ort der öffentlichen Verhandlung der Geschichte im Lichte ihrer Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft etabliert werden soll.

Florian Schwanninger (Hartheim): Jenseits des Nationalsozialismus. Der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim als Ort der Vermittlung ethischer und behindertenpolitischer Fragestellungen

Inwieweit sollen und können Gedenkstätten in ihren Ausstellungen und ihrer vermittlerischen Tätigkeit in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen und Auseinandersetzungen eingreifen. Ist es legitim (oder sogar nötig), die Ereignisse während der NS-Zeit an diesen Orten des Terrors und die dort Ermordeten für die Thematisierung gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Probleme und Herausforderungen heranzuziehen bzw. als „moralisches Kapital“ zu verwenden? Gibt es dabei Grenzen und wenn ja, wer definiert diese? Wie kann ein Versuch des Vermittelns und Lernens an diesen Orten aussehen, der nicht „überwältigt“ und zu vorgefertigten bzw. „erwünschten“ Ergebnissen führt? Wie es um das „politisch-moralische Kapital“ der Gedenkstätten derzeit bestellt? Welchen Konjunkturen ist es unterworfen und wird es sich in nächster Zeit aufgrund veränderter Rahmenbedingungen entwickeln? Der Beitrag diskutiert diese Fragen anhand der Erfahrungen im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim.