6 I Das NS-Lager Graz-Liebenau im Spannungsverhältnis zwischen Forschung und gesellschaftlicher Vermittlung

 
5. April 2018
14:15–15:45
Seminarraum 5


Barbara Stelzl-Marx (Graz)
Das Lager Liebenau: Aspekte und Perspektiven im Umgang mit dem Erinnerungsort


Claudia Theune (Wien)
Der Mehrwert von zeitgeschichtlicher Archäologie in Bezug auf Forschungen zu ehemaligen NS-Lagern – Das Beispiel des Zwangsarbeiterlagers Graz-Liebenau


Eva Steigberger (Wien)
Denkmalpflegerische Beurteilung, Unterschutzstellung und praktische Betreuung von NS-zeitlichen Bodendenkmalen

 


Im Frühjahr 2017 stieß ein Bautrupp bei Grabungen für das Murkraftwerk auf Mauerteile und eine Treppe. Sie gehören zum ehemaligen Lager Liebenau, dem größten NS-Zwangsarbeiterlager in Graz. Der Komplex war im April 1945 zudem eine Station ungarischer Juden auf ihren Evakuierungsmärschen nach Mauthausen – mindestens 34 Personen wurden hier erschossen. Im Laufe von 2017 folgten weitere Grabungen, die der Errichtung eines Jungendzentrums oder von Gartenhäuschen dienten. Sie brachten ebenfalls Fundamentreste und Stollen zum Vorschein. Ungeklärt ist, ob noch Opfer hier begraben sind. Immer wieder wurde die Forderung nach Baustopps laut. Unterschiedliche gesellschaftliche, öffentliche, ökologische und wirtschaftliche Interessen prallten aufeinander. Der Umgang mit diesem zeitgeschichtlichen Denkmal und die mögliche Formen der Erinnerung sowie der Vermittlung gegenüber der Gesellschaft sollen im Rahmen des Panels interdisziplinär beleuchtet werden.

 

Chair: Karin M. Schmidlechner (Graz)

Barbara Stelzl-Marx (Graz): Das Lager Liebenau: Aspekte und Perspektiven im Umgang mit dem Erinnerungsort

Bis Kurzem war das NS-Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau weitestgehend vergessen und unsichtbar. Nach dem Prozess vor einem britischen Militärgericht 1947, bei dem wegen Kriegsverbrechen zwei Todesurteile ausgesprochen wurden, war – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras über das Areal gewachsen. Wo einst Baracken standen, wurden Wohnhäuser errichtet. An die hier ermordeten ungarischen Juden erinnerte nichts mehr. Im Zuge der Diskussionen um die Errichtung eines Wasserkraftwerkes in unmittelbarer Nähe des Areals rückte das Lager plötzlich ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Eine zeithistorische Studie widmete sich 2013 der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der Grazer Geschichte, weitere Recherchen folgten. Im Rahmen des Vortrages soll anhand des Beispiels von Liebenau der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag die zeitgeschichtliche Forschung beim Umgang mit der NS-Vergangenheit leisten kann und wie die Ergebnisse der Gesellschaft kommuniziert werden können.

Claudia Theune (Wien): Der Mehrwert von zeitgeschichtlicher Archäologie in Bezug auf Forschungen zu ehemaligen NS-Lagern – Das Beispiel des Zwangsarbeiterlagers Graz-Liebenau

Seit knapp 30 Jahren finden archäologische Untersuchungen an Orten des NS-Terrors statt, häufig in ehemaligen Konzentrationslagern, aber ebenso in deren Neben-, in Zwangsarbeiter- oder auch in Kriegsgefangenenlagern. Die Ausgrabungen sind unterschiedlich motiviert, sei es, dass Flächen für neue Gedenkstätten freigelegt werden, dass durch bauliche Notwendigkeiten die Befunde unter der Erde dokumentiert werden müssen oder dass sich wissenschaftliche Fragestellungen an die archäologischen Untersuchungen knüpfen. Hinzu kommen eine Vielzahl an Untersuchungs- und Erkenntnismöglichkeiten durch die bei den Ausgrabungen geborgenen Funde. Ein wesentlicher Punkt ist zudem die gezielte Suche oder auch das zufällige Auffinden von Opfern des nationalsozialistischen Terrors und der Umgang mit den menschlichen Relikten. Generell aber auch konkret bezogen auf das Zwangsarbeiterlager Liebenau soll der Frage nachgegangen werden, wie diese Themen gegenüber der Gesellschaft kommuniziert werden sollen.

Eva Steigberger (Wien): Denkmalpflegerische Beurteilung, Unterschutzstellung und praktische Betreuung von NS-zeitlichen Bodendenkmalen

Im Zuge der Beschäftigung mit NS-Relikten kann die Archäologie eine überaus wertvolle Quelle darstellen, die mitunter auch Zeugnisse von Opfern überliefert und damit sowohl gesellschaftliche Relevanz als auch Bedeutung für die zeitgeschichtliche Forschung hat.
Die rechtliche Grundlage für die Definition einer bildet das österreichische Denkmalschutzgesetz (DMSG). In § 1 findet sich dazu die sogenannte Legaldefinition, die genau beschreibt, welche Objekte – immer bewegliche oder unbewegliche – von diesem Gesetz erfasst werden. Die Steirische Raumordnung erlaubt in ihrer Zeichenverordnung die Ausweisung archäologischer Bodenfundstätten, um damit für Eigentümer und Nutzer kenntlich zu machen, dass auf ausgewiesenen Grundstücken mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten archäologischer Bodenfunde zu rechnen ist. Beim Lager Liebenau handelt es sich um eine solche Bodenfundstätte.