30 I Menschenrechte und Geschlecht im 20. Jahrhundert

 
7. April 2018
9:00–10:30
Seminarraum 5


Elisa Heinrich (Wien)
„Es scheint mir geradezu gefährlich, dass jetzt von allen Seiten ungleiches Recht für Mann und Frau verlangt wird“. Die Kontroverse um die Aufnahme weiblicher Homosexualität in das deutsche Strafrecht, 1909–1911


Regula Ludi (Zürich)
Geschlechtergleichheit als Menschenrecht? Überlegungen zur Bedeutung der Menschenrechtssprache im Völkerbund


Roman Birke (Wien/Jena)
Zwischen Aktivismus und Diplomatie. Eleanor Roosevelts Bedeutung für internationale Frauen- und Menschenrechte, 1936–1962


Celia Donert (Liverpool)
Frauenrechte und Menschenrechte im Kalten Krieg. Osteuropäischer Frauenrechtsaktivismus zwischen 1945 und 1970

 

Im 20. Jahrhundert wurden Geschlechterpolitiken in Nationalstaaten und internationalen Foren zunehmend als Rechtsfragen diskutiert. Fragen von Gleichbehandlung, Sexualität oder der gesellschaftlichen Stellung von Frauen in den politischen Systemen des Kalten Krieges standen im Vordergrund. Die rechtliche Kodifizierung von gesellschaftlichen Vorstellungen führte zu zahlreichen Kontroversen, deren Analysen unser Verständnis über die Funktionsweisen von Gesellschaften und die politischen Auseinandersetzungen in internationalen Institutionen vertiefen können. Das Panel diskutiert die Bedeutung von Frauenrechten und Menschenrechten 1) anhand der Debatten zur Kriminalisierung weiblicher Homosexualität in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 2) in Auseinandersetzungen um Geschlechtergerechtigkeit im Völkerbund in der Zwischenkriegszeit, 3) während der Gründungsphase der Vereinten Nationen und 4) für osteuropäische kommunistische Parteien und Frauenorganisationen zwischen 1945 und 1970.


Dieses Panel wurde vom ZGT18-Team um einen Vortag erweitert.

 

Chair: Carola Sachse (Wien/Berlin)

Elisa Heinrich (Wien): „Es scheint mir geradezu gefährlich, dass jetzt von allen Seiten ungleiches Recht für Mann und Frau verlangt wird“. Die Kontroverse um die Aufnahme weiblicher Homosexualität in das deutsche Strafrecht, 1909–1911

Die Sexualwissenschaft erfand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der ‚weiblichen Homosexuellen’ eine neue sexualpathologische Kategorie. Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung wurde diese Kategorie in Deutschland aber erst zu dem Zeitpunkt als eine überarbeitete Version des Reichsstrafgesetzbuches von 1909 vorsah, § 175, der ‚Unzucht‘ zwischen Männern unter Strafe stellte, auf Frauen auszudehnen. Die vielfältigen Interventionen in diesen Prozess machen deutlich, dass in verschiedenen Öffentlichkeiten massiv um die – auch rechtliche – Deutung des Konzepts weiblicher Homosexualität gerungen wurde. Für den Vortrag werden Positionierungen von Akteurinnen der Frauenbewegung aus den Beständen des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF) analysiert und einerseits in feministische Debatten um Gleichheitsvorstellungen, anderseits in den Kontext der häufig in der Forschung vertretenen These des ‚Schweigens der Frauenbewegung zu weiblicher Homosexualität‘ eingeordnet.

Regula Ludi (Zürich): Geschlechtergleichheit als Menschenrecht? Überlegungen zur Bedeutung der Menschenrechtssprache im Völkerbund

Die Anfänge der modernen Menschenrechte stehen seit einigen Jahren im Zentrum historiografischer Kontroversen. Die plötzliche Evidenz der Menschenrechte am Ende des Zweiten Weltkriegs wirft Fragen auf, auf die die Forschung bisher keine schlüssigen Antworten gegeben hat. Der Vortrag argumentiert anhand von Quellen des Völkerbundes, der UNO und internationaler Frauenorganisationen, dass die neuartige Plausibilität der Menschenrechtssprache ab 1945 auf einem diskursiven Wandel beruht, dessen Ursprünge in die Zwischenkriegszeit zurückreichen. In Konvergenz mit den Debatten über humanitären Schutz von Flüchtlingen, Staatenlosen und Minderheitsangehörigen leisteten feministische Diskurse einen entscheidenden Beitrag zur Konturierung von Gleichheitsvorstellungen. Damit bahnten sie der Anerkennung von Geschlecht als einem unzulässigen Grund für rechtliche Ungleichbehandlung den Weg ins internationale Recht. Dieser semantischen Wandel ist für ein Verständnis des Umbruchs von 1945 unerlässlich.

Roman Birke (Wien/Jena): Zwischen Aktivismus und Diplomatie. Eleanor Roosevelts Bedeutung für internationale Frauen- und Menschenrechte, 1936–1962

Der Vortrag untersucht die Bedeutung Eleanor Roosevelts für die Normierung internationaler Menschenrechte und fragt insbesondere nach ihren Positionen zu Frauenrechten. Der Vortrag schließt dabei an die Überlegungen von Regula Ludi an und zeigt, dass sich die bereits im Völkerbund geführten Diskussionen auch in die Vereinten Nationen eingeschrieben haben. Grundlage der Untersuchung ist die von Eleanor Roosevelt zwischen 1936 und 1962 publizierte Kolumne „My Day“. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 7.998 Kolumnen publiziert. Der Vortrag präsentiert die Ergebnisse einer Untersuchung, die computergestützte Verfahren (distant reading) und eine genaue Lektüre von etwa 2.000 ausgewählten Kolumnen (close reading) kombiniert. Dabei wird gezeigt, dass Roosevelt ein ambivalentes Verhältnis zu Frauenrechten als Menschenrechte hatte und sonderrechtliche Bestimmungen für Frauen im Gegensatz zu den späteren internationalen Frauenkonferenzen der Vereinten Nationen ablehnte.

Celia Donert (Liverpool): Frauenrechte und Menschenrechte im Kalten Krieg. Osteuropäischer Frauenrechtsaktivismus zwischen 1945 und 1970

Der Vortrag basiert auf Recherchen in den Archiven von osteuropäischen kommunistischen Parteien und Frauenorganisationen. Er diskutiert die Beiträge dieser Akteure zum internationalen Frauenrechtsverständnis nach 1945. Insbesondere untersucht er den transnationalen Austausch zwischen Aktivistinnen aus Osteuropa, die zentral zur Bestimmung internationaler Frauenrechte während der von den Vereinten Nationen 1975 deklarierten Dekade der Frau waren. Der Vortrag nimmt die Austauschprozesse zwischen regionalen (Sowjet), nationalen (Partei) und internationalen (Vereinte Nationen, Women’s International Democratic Federation) Ebenen in den Blick. Der Fokus liegt dabei nicht auf der Umsetzung von Frauenrechten, sondern auf deren Bedeutung für osteuropäische Propaganda und Diplomatie im Kontext internationaler Organisationen. Dabei wird gezeigt, dass die Ursprünge der 1993 bei der UN-Konferenz in Wien deklarierten Menschenrechte für Frauen in den im Vortrag untersuchten Debatten liegen.