39 I Kriegsführung, Besatzung und Kriegsende in transnationaler Perspektive – Neue Forschungen zu Wehrmacht und Wehrmachtsgedenken


7. April 2018
14:00–15:30
Seminarraum 7


Maria Fritsche (Wien)
Kontakte, Konflikte, Konsens: Die Praxis der deutschen Wehrmachtsgerichte in Norwegen


Peter Pirker (Wien)
Das Verschwinden der Wehrmacht. Der Zweite Weltkrieg in der neuen Erinnerungskultur


Mathias Lichtenwagner (Wien)
Bleiburg, Briten, Behörden: Vom Weg- und Hinschauen in Vergangenheit und Gegenwart


Johannes Kramer (Wien)
Südtiroler in der Division „Brandenburg“: Vom „Kampf hinter den Linien“ zur transnationalen Volkstumspolitik

 

Grenzverschiebungen, Besatzung und freiwillige wie erzwungene Migration waren untrennbar mit dem Großmachtstreben der Nationalsozialisten und der politisch-militärischen Aggression des NS-Staats verbunden. Diese inhärent transnationalen Phänomene werden von den Referent_innen mit Blick auf militärisches Handeln und soldatische Ideale sowie die geschichtspolitische Aushandlung seit Kriegsende diskutiert. Die verhandelten Themen betreffen die Kriegsführung, Besatzung, Kollaboration, Vergeltung und Erinnerung im öffentlichen Raum. Die Vorträge beleuchten die deutsche Wehrmachtsgerichtsbarkeit in Norwegen, die transnationale Mobilisierung von deutschsprachigen Minderheiten in der Wehrmacht und als Veteranen am Beispiel von Südtirolern, das immer größer werdende Ustascha-Gedenken in Bleiburg sowie den Orten der Wehrmacht im urbanen Weltkriegsgedächtnis seit 1945 im internationalen Kontext.

 

Chair: Lisa Rettl (Wien)

Maria Fritsche (Wien): Kontakte, Konflikte, Konsens: Die Praxis der deutschen Wehrmachtsgerichte in Norwegen

Im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts zu Norwegen im Zweiten Weltkrieg („In a World of Total War: Norway 1939–1945“) untersuche ich die Rolle und Spruchpraxis der deutschen Militärgerichtsbarkeit im besetzten Norwegen zwischen 1940 und 1945. Ich gehe der Frage nach, wie die deutschen Machthaber mithilfe der Wehrmachtgerichtsbarkeit, der auch die Zivilbevölkerung unterworfen war, Konsens in der eigenen Truppe und in der multiethnischen norwegischen Bevölkerung herzustellen suchten. Anhand von Gerichtsakten der in Norwegen stationierten Wehrmachtgerichte beleuchte ich die Kontakt- und Konfliktzonen zwischen Besetzern und Besetzten, um so den Besatzungsalltag und die vielen Schattierungen zwischen Kollaboration und Widerstand sichtbar zu machen. Meine Perspektive ist primär eine sozialhistorische und alltagsgeschichtliche.

Peter Pirker (Wien): Das Verschwinden der Wehrmacht. Der Zweite Weltkrieg in der neuen Erinnerungskultur

Mehr als 1.600 Zeichen der Erinnerung an die politische Gewalt von Austrofaschismus und Nationalsozialismus wurden seit 1945 in Wien errichtet. Sie markieren einen dynamischen Erinnerungsraum, der von einem interdisziplinären Team im Rahmen des WWTF-Projekts „Politics of Remembrance“ untersucht wurde. Die Erinnerungszeichen (Denkmäler, Tafeln, Ausstellungen u.a.) wurden quantitativ und entlang räumlicher, zeitlicher, thematischer und sozialer Kategorien ausgewertet. Ergänzt wurde dieser Längsschnitt durch Fallstudien zu jüngeren Memorialisierungsprozessen, wie der Transformation des „Österreichischen Heldendenkmals“, dem Deserteursdenkmal und der Einführung eines neuen halboffiziellen Gedenktages am 8. Mai. Welcher Ort wurde der Wehrmacht bzw. den Wehrmachtssoldaten zugewiesen und wie sind die jüngsten Entwicklungen im internationalen Kontext zu bewerten? Nach dem Ende des nationalen Veteranengedenkens und dessen Kritik und Konterkarierung stellt sich außerdem die Frage, wie die Wehrmacht in der Migrationsgesellschaft in ihren europäischen und globalen Dimensionen erinnert werden kann.

Mathias Lichtenwagner (Wien): Bleiburg, Briten, Behörden: Vom Weg- und Hinschauen in Vergangenheit und Gegenwart

Jährlich kommen zehntausende Personen nach Bleiburg/Pliberk in Kärnten um auf offenem Feld an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Erinnert wird durch die Feier an das „Massakers von Bleiburg“ und den „Verrat der Briten“ 1945, wobei dies wesentliche geschichtspolitische Themen der (post-)jugoslawischen Gesellschaft sind.
Seit zwei Jahrzehnten ist Bleiburg als Mythos und Ort Gegenstand geschichts- und vergangenheitspolitischer Forschung. Seitdem die Veranstaltung stetig wächst, zunehmend die Aufmerksamkeit (inter)nationaler Medien auf sich zieht und die Begleiterscheinungen wie Verharmlosung von Nationalsozialismus und Shoa und Huldigung des mit dem „Dritten Reich“ verbündeten kroatischen NDH-Staates unübersehbar werden müssen sich auch staatliche Behörden mit dem Thema befassen.
Der Vortrag soll darstellen, wie auf lokaler und nationaler Ebene durch Bevölkerung, Medien, Verwaltung und Politik mit der Veranstaltung umgegangen wird und historischen Bezüge verhandelt werden.

Johannes Kramer (Wien): Südtiroler in der Division „Brandenburg“: Vom „Kampf hinter den Linien“ zur transnationalen Volkstumspolitik

Im Jahr 1939 stellte der deutsche militärische Geheimdienst eine neuartige bewaffnete Formation mit dem Namen „Brandenburg“ auf. Das Potential der auch schon vor Kriegsbeginn ins Deutsche Reich strömenden „Volks-„, „Grenz-„ und „Auslandsdeutschen“ sollte damit gezielt für den Angriffskrieg genutzt werden. Deutchsprachigen Männer aus ganz Europa und darüber hinaus wurden fortan angeworben und als Vortrupp für verlustreiche Tarneinsätze im Feindgebiet herangezogen. Nach Kriegsende wurden die internationalen „Brandenburger“ zu einem der am stärksten mystifizierten Truppenteile der Wehrmacht. Mit besonderem Blick auf die zahlreichen Südtiroler unter den Kommandosoldaten wird ausgehend vom Verband die europäische „Freiwilligenbewegung“ und die grenzübergreifende Strahlkraft deutscher Mobilmachung in der NS-Zeit sowie deren Nachgeschichte beleuchtet. Das Hauptgewicht liegt dabei auf den Veteranen, deren internationaler Vernetzung und politischem Wirken (in Südtirol) nach 1945.