32 I Orte – Wege – Räume. Neuere Forschungsprojekte zur NS-Herrschaft und ihre gesellschaftliche Relevanz
7. April 2018
9:00–10:30
Seminarraum 8
Eva Hallama (Wien)
Wege in die Zwangsarbeit: Grenzentlausungslager als erste Haltestationen ziviler Zwangsarbeiter_innen während ihres Transports ins Deutsche Reich
Verena Pawlowsky (Wien)
Die Herstellung eines Machtzentrums – Das Parlamentsgebäude am Wiener Ring als nationalsozialistischer Herrschaftsort
Jutta Fuchshuber (Wien)
Orte der Zwangsarbeit – Räume der Machtausübung
Alexandra Wachter/Gabriele Hackl (Wien/Wien)
Die Verwaltung der Donau und die NS-Planungen einer Großwasserstraße
Orte, Wege und Räume sind wesentliche Parameter zur Beschreibung und Charakterisierung nationalsozialistischer Herrschaft: In der Beherrschung und Neuordnung Europas spielen Orte als Zentren und Peripherien der Macht, die Erschließung und Eroberung von Räumen ebenso eine Rolle wie das Mobilitätsmanagement, dass Orte und Räume erst in ein der Herrschaft dienendes Verhältnis setzt. Die vier im Panel vorgestellten Forschungsprojekte verweisen in unterschiedlicher Weise auf diese Zusammenhänge: das ehemalige österreichische Parlament als ein Zentrum der NS-Herrschaft in Wien, die Donau als geplante zentrale europäische Großwasserstraße insbesondere zur Beherrschung Südosteuropas, die Grenzentlausungslager als Stationen der Zwangsmigration von Arbeitskräften zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft sowie die Implementierung von Zwangsarbeit in einer Großstadt wie Wien.
Für alle Projekte stellt sich die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz, die auch, aber nicht nur über Förderungen und Beauftragungen gegeben scheint, sondern sich letztlich im weiteren Umgang mit den Ergebnissen erweist.
Chair: Bertrand Perz (Wien)
Eva Hallama (Wien): Wege in die Zwangsarbeit: Grenzentlausungslager als erste Haltestationen ziviler Zwangsarbeiter_innen während ihres Transports ins Deutsche Reich
Nach der Zwangsrekrutierung zum Arbeitseinsatz durch das NS-Regime wurden Männer, Frauen und Jugendliche aus Osteuropa millionenfach ins Deutsche Reich deportiert. Die ersten Stationen dieser Transporte lagen noch innerhalb der besetzten Länder: In sogenannten „Grenzentlausungslagern“ wurden die zivilen Zwangsarbeiter_innen von „Ärztekommissionen“ auf Arbeitstauglichkeit und Infektionsgefahr untersucht, ihre Kleider und Dinge einer Entwesung und Desinfektion, ihre Körper einer Entlausung und „Reinigung“ unterzogen. Der Aufenthalt in den Lagern wird in lebensgeschichtlichen Erinnerungen häufig als einschneidendes Erlebnis auf dem Weg in die Zwangsarbeit erzählt. Der Vortrag fragt nach der Rolle dieser Lager im Prozess der Unterwerfung der osteuropäischen Bevölkerung zu Sklavenarbeiter_innen und diskutiert damit Fragen der Grenzsicherung, der In- und Exklusion sowie Aspekte der Kolonialisierung von Bevölkerungen.
Verena Pawlowsky (Wien): Die Herstellung eines Machtzentrums – Das Parlamentsgebäude am Wiener Ring als nationalsozialistischer Herrschaftsort
Das Wiener Parlamentsgebäude diente in der NS-Zeit zuerst als Sitz des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, dann als Gauhaus. Bürckel und Schirach waren die beiden ‚Hausherren‘, die das Haus in Besitz nahmen, umdeuteten und zur Schaltzentrale im Netz der NS-Dienststellen in Wien machten. Der Vortrag fragt nach den Mechanismen, die dieses Machtzentrums herstellen halfen, wobei in diesem Zusammenhang die Tatsache nicht unbedeutend war, dass die Ausschaltung des Parlaments im Jahr 1933 die Fremdnutzung des Hohen Hauses durch das NS-Regime gewissermaßen vorbereitet hatte. Dem Vortrag liegt ein von der Parlamentsdirektion in Auftrag gegebenes Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte des Parlamentsgebäudes in den Jahren 1933–1945 zugrunde. Obwohl im konkreten Fall von einer institutionellen Kontinuität nicht gesprochen werden kann – ein „Parlament unterm Hakenkreuz“ gab es nicht –, sind die Schichten, die das Projekt, auch im materiellen Sinne, freilegt, Teil der Geschichte dieses Ortes.
Jutta Fuchshuber (Wien): Orte der Zwangsarbeit – Räume der Machtausübung
Mit Kriegsverlauf und der Ausweitung der Rüstungsindustrie verstärkte sich der Mangel an Arbeitskräften, welcher auch durch zivile Arbeitskräfte und ZwangsarbeiterInnen nicht ausgeglichen werden konnte. Das NS-Regime setzte zunächst Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit ein. Nach dem Beginn der systematischen Deportationen von Jüdinnen und Juden im Frühjahr 1941 wurden verstärkt „Mischlinge“ und in „Mischehe“ lebende Personen zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie, in privatwirtschaftlichen, kommunalen und landwirtschaftlichen Betrieben in Wien herangezogen. Der Vortag fragt sowohl nach den Orten von Zwangsarbeit als auch nach den Interaktionsräumen zwischen Zwangsarbeiter_innen und Zivilist_innen/Täter_innen. Die in den Aktenbeständen der Volksgerichte und der Opferfürsorge sichtbar werdenden Orte der Zwangsarbeit und Formen der Machtausübung werden durch vorhandene Oral History Interviews vertieft. Ziel ist es, die verschiedenen Perspektiven aller Akteur_innen zu kontextualisieren.
Alexandra Wachter/Gabriele Hackl (Wien/Wien): Die Verwaltung der Donau und die NS-Planungen einer Großwasserstraße
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde die österreichische Wasserstraßenverwaltung Teil des weit gespannten Netzes der Reichswasserstraßenverwaltung. Die nach deutschem Vorbild geschaffene Wasserstraßendirektion und ihre untergeordneten Stellen wurden Berlin zwar erst im August 1939 direkt unterstellt, doch bereits im März und April 1938 wurden im Rahmen der ersten Donaubereisungen durch Generalfeldmarschall Göring bzw. Reichsverkehrsminister Dorpmüller Pläne für den Ausbau zur Großwasserstraße erörtert. Dabei hatte man einerseits den Anschluss an das reichsweite Versorgungsnetz, andererseits die Erschließung und Eroberung des südosteuropäischen Raums im Sinn. Gegen Kriegsende wurde die Donau schließlich zum Evakuierungs- und Fluchtweg – letztlich auch für die Wasserstraßendirektion selbst. Der Vortrag skizziert unter anderem die Handlungsspielräume der österreichischen Mittelbehörde während der NS-Zeit sowie ihre Rolle als Erfüllungsgehilfin und Akteurin in der großdeutschen Raumplanung.