37 I Che in Floridsdorf. Österreichische Konstruktionen Lateinamerikas seit dem 20. Jahrhundert

 
7. April 2018
14:00–15:30
Seminarraum 4


Katharina Luksch (Wien)
Forschung und Mission. Das mixtekische Mexiko im Blick der Wiener Völkerkunde


Laurin Blecha (Wien)
Zwischen Revolutionsromantik und internationaler Kooperation. Österreichs Linke und Lateinamerika, 1960–1985


Daniela Paredes Grijalva (Wien)
Déjame que te cuente / Lass mich dir erzählen: Einblicke in Migrationsgeschichten in Wien und Ecuador

 

Österreichische Vorstellungen von Lateinamerika – ob historisch oder aktuell – sind das Ergebnis komplexer Transfer- und Translationsprozesse. Geprägt sind diese ebenso von exotisierenden Fiktionen, wie von politischer Rhetorik aus Lateinamerika selbst, welche die Grundlage schufen für stereotype Bilder romantischer Revolutionen oder korrupter Bananenrepubliken. Solche Wahrnehmungen prallten immer wieder mit Wirklichkeiten zusammen, etwa wenn Flüchtende aus Lateinamerika nach Österreich kamen oder wenn Österreicher_innen zu politischen Missionen in lateinamerikanische Länder aufbrachen. Dieses interdisziplinäre Panel widmet sich österreichischen Lateinamerikabildern in Wissenschaft, Politik und sozialen Bewegungen sowie lebensgeschichtlichen Erfahrungen lateinamerikanischer Migrant_innen mit diesen Vorstellungen. Damit präsentiert es zeitgeschichtsrelevante Forschung einer neuen Generation österreichischer Lateinamerikanist_innen.

 

Chair: Berthold Molden (Wien)

Katharina Luksch (Wien): Forschung und Mission. Das mixtekische Mexiko im Blick der Wiener Völkerkunde

Mit Mexiko verbindet Österreich unter anderem eine Sammlung ethnografischer und kunsthistorischer Objekte, die direkt im Zuge der Conquista nach Europa gelangt sind und sich als Zeugnis kolonialer Expansion und frühneuzeitlicher Machtpolitik in die Habsburgischen Kunstsammlungen eingliedern. Zu dieser Sammlung gehört neben dem umstrittenen Penacho auch eine vorkoloniale Bilderhandschrift, die seit 340 Jahren in der Österreichischen Hof-bzw. Nationalbibliothek verwahrt wird. Weniger bekannt (und weniger publiziert) als die vergleichbaren Manuskripte in London und Berlin, hat der Codex Vindobonensis mit seinem nichtwestlichen Schriftsystem gleichwohl eine wechselhafte Geschichte an Deutungen und Interpretationen erfahren, ehe sein Inhalt schließlich in den 1980er-Jahren entschlüsselt wurde. Seine Rezeptionsgeschichte enthüllt ideologische Grundlagen und Spezifika der Wiener Schule der Völkerkunde, die die österreichische Amerikanistik und Ethnologie im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt haben.

Laurin Blecha (Wien): Zwischen Revolutionsromantik und internationaler Kooperation. Österreichs Linke und Lateinamerika, 1960–1985

Seit der Mitte der 1960er-Jahre geriet Lateinamerika vermehrt in den Fokus progressiver Teile der österreichischen Bevölkerung. Geprägt durch die transnationale 68er-Bewegung und die Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs zur Zeit der „Kreisky-Ära“ (1970–1983), blickte eine junge Generation über die Grenzen Österreichs hinaus in die so genannte „Dritte Welt“, um deren komplexe politische Prozesse sowie die soziale Realität der marginalisierten Bevölkerungsschichten der österreichischen Gesellschaft näher zu bringen. Avancierten globalgeschichtliche Entwicklungen und Ereignisse, wie Kubanische (1959) oder die Nicaraguanische Revolution (1979) sowie die Unidad-Popular Regierung von Salvador Allende (1970–1973) zu Projektionsflächen für in Europa scheinbar nicht oder schwer durchsetzbare soziale Utopien? Das Ziel ist es, einen Beitrag zur transnationalen Betrachtung der Geschichte des Aktivismus gegenüber den Ländern des Globalen Südens zu leisten.

Daniela Paredes Grijalva (Wien): Déjame que te cuente / Lass mich dir erzählen: Einblicke in Migrationsgeschichten in Wien und Ecuador

Seit Beginn der Zweiten Republik gelangten immer wieder lateinamerikanische Migrant_innen nach Österreich, sei es als politische Exilant_innen, aus ökonomischen oder anderen Gründen. In Österreich lebende Ecuadorianer_innen sind oft mit in- oder halbformellen Tätigkeiten beschäftigt – häufig im Pflege- und Haushaltsbereich – und so de facto eingebettet in den Aufbau sozialer Sicherheit in Österreich. Gleichzeitig sind viele aktiv in Ecuador oder anderswo, wo sie sich auch um Angehörige kümmern, und bewegen sich unter anderem dadurch in einem transnationalen Raum. Der Mehrheitsgesellschaft sind diese komplexen sozialen Erfahrungen hinter den migrantischen Lebensbedingungen meist verborgen und unnachvollziehbar. Wie war es, ein neues Leben in Wien aufzubauen? Mit welchen Bildern vom Anderen waren sie konfrontiert und wie erzählen sie ihre Geschichten? Ausgehend von einer 2015 durchgeführten Interviewserie wird ein gespiegelter Selbst-/Fremdblick auf „latinoamericanidad“ in Wien eröffnet.