34 I Studien zu Praxis und Nachleben des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes
7. April 2018
11:00–12:30
Seminarraum 5
Lucile Dreidemy (Toulouse)
Innenansichten einer Diktatur. Kurt Schuschnigg im Interview
Martin Maier (Wien)
Zwischen Abwehr und Aufgeschlossenheit – Aspekte austrofaschistischer Technikrezeption
Ilse Reiter-Zatloukal (Wien)
„ohne dass es eines gerichtlichen Erkenntnisses bedarf“ – Zur Maßregelung politisch missliebiger Richter in Österreich 1934–1938
Florian Wenninger (Wien)
„gebietet es die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Neue Forschungsergebnisse zur politischen Justiz im Austrofaschismus
Vortrag abgesagt
Das Panel widmet sich auf unterschiedlichen Ebenen der österreichischen Diktatur der Jahre 1933–1938, die gerade in den letzten Jahren wieder stärker in den Fokus der Forschung getreten ist. Zwei eingehende Untersuchungen zur (Selbst-)Instrumentalisierung der Justiz zur Verfolgung von Oppositionellen lassen die These, das Regime sei zwar keine Demokratie, aber doch immerhin ein Rechtsstaat gewesen, überaus fragwürdig erscheinen. Eine Studie zur Technikrezeption des Regimes widerspricht verbreiteten Annahmen eines rundum antimodernen, reaktionären Systemcharakters. Schließlich geht ein Vortrag der Frage nach, wie Kurt Schuschnigg als führender Akteur die politischen Entwicklungen analysierte, die 1933/34 zur Errichtung des Regimes führten, und wie er dieses und seine Rolle darin aus einem Abstand von fast vierzig Jahren beurteilte.
Chair: Margit Reiter (Wien)
Lucile Dreidemy (Toulouse): Innenansichten einer Diktatur. Kurt Schuschnigg im Interview
Anhand eines bisher unerforschten zwölfstündigen biographischen Interviews des Zeithistorikers Gerhard Jagschitz mit Kurt Schuschnigg aus dem Jahr 1972 setzt sich dieser Beitrag kritisch mit dem spezifischen Blick des ehemaligen Diktators auf das austrofaschistische Regimes auseinander. Ein Schwerpunkt der Untersuchung wird auf den Organisationsstrukturen der Christlichsozialen Partei, der Rolle zentraler systemtragender Persönlichkeiten und deren Beziehungen zur Heimwehr liegen; ein weiterer auf dem Selbstverständnis des Regimes und dessen Beziehungen zu Deutschland und Italien. Darüber hinaus soll diese einmalige Quelle die Gelegenheit bieten, die bisherigen Interpretationen von Schuschniggs Politik in der Sekundarliteratur und seine geschichtspolitische Rezeption in der Zweiten Republik kritisch zu beleuchten. Die Erarbeitung des Vortrags erfolgte in enger Zusammenarbeit mit Gerhard Jagschitz.
Martin Maier (Wien): Zwischen Abwehr und Aufgeschlossenheit – Aspekte austrofaschistischer Technikrezeption
Der Vortrag fragt nach den Ausprägungen katholisch-konservativer Technikrezeption in der österreichischen Zwischenkriegszeit. Ein diskurstheoretisch geprägter Zugang ermöglicht es dabei, über die Beschreibung offiziell verfolgter politischer Programme hinaus unterschiedliche Formen katholisch-konservativer Technikrezeption herauszuarbeiten und Entwicklungslinien nachzuzeichnen, die über die Zäsur der Jahre 1933/34 hinweg wirksam waren. Die im Vortrag diskutierten Forschungsergebnisse ermöglichen einen differenzierten Blick auf die Thematik und verweisen auf ein ambivalentes Bild katholisch-konservativer Technikrezeption. Mit besonderem Fokus auf den Austrofaschismus lassen sich aber repräsentative Varianten definieren, die als gemäßigt modern charakterisiert werden können und, in Relation zu progressiveren und reaktionäreren Formen katholisch-konservativer Technikrezeption gesetzt, im Zentrum der dargebrachten Ausführungen stehen.
Ilse Reiter-Zatloukal (Wien): „ohne dass es eines gerichtlichen Erkenntnisses bedarf“ – Zur Maßregelung politisch missliebiger Richter in Österreich 1934–1938
Die Verfassung 1934 sah zwar die richterliche Unabhängigkeit vor, doch wurde diese mit dem Verfassungsübergangsgesetz zunächst für ein Jahr und dann bis zum „Anschluss“ 1938 suspendiert. Parallel dazu normierte die Regierung – begründet mit einem vorgeblichen Staatsnotstand – zusätzlich zu den bereits vorhanden disziplinarrechtlichen Maßnahmen direkte Zugriffsmöglichkeiten auf die Justiz durch den Justizminister, darunter die Ab- und Versetzung politisch missliebiger Richter. Hinsichtlich der Anwendung dieses Instrumentariums zur Maßregelung nicht-regierungsloyaler Richter und Staatsanwälte (und damit im Zusammenhang des Ausmaßes der nationalsozialistischen Unterwanderung der Justiz bestehen allerdings erhebliche Forschungsdefizite, deren Schließung ein einschlägiges Forschungsprojekt (in Vorbereitung) dienen wird. Neben der Darstellung der einschlägigen Rechtslage sollen im beabsichtigten Vortrag erste konkrete Fälle einer politischen Maßregelung von Richtern exemplarisch vorgestellt werden.
Florian Wenninger (Wien): „gebietet es die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Neue Forschungsergebnisse zur politischen Justiz im Austrofaschismus
Die Erforschung der politischen Justiz im Austrofaschismus fokussierte bisher primär auf die Phase der Systemetablierung 1934, namentlich auf die Sondergerichtsbarkeit im Gefolge der Februarkämpfe und des Juliputsches. Der Beitrag des Justizapparates zur Stabilisierung der Diktatur in den folgenden drei Jahren liegt dagegen von wenigen prominenten Verfahren abgesehen weitgehend im Dunklen. Der vorgeschlagene Beitrag präsentiert vor diesem Hintergrund die Ergebnisse einer empirischen Studie zu den Verfahren vor den Wiener Straflandesgerichten des Jahres 1935 und diskutiert neben Akteuren und Spruchpraxis auch das institutionelle Verhältnis der Justiz zur Exekutive und zur politischen Führung. Im Ergebnis werden die Konturen einer Rechtspflege deutlich, die sich weitgehend ohne Zuruf von außen als eine verlässliche Stütze des Regimes erwies.