38 I Staat und Terrorismus im Kalten Krieg

 
7. April 2018
14:00–15:30
Seminarraum 5


Przemysław Gasztold (Warschau)
The Viennese Deal: Polish Military Intelligence, Monzer Al-Kassar and International Terrorism, 1983–1985
><  Vortrag in englischer Sprache


Adrian Hänni (Freienbach)
Staaten und terroristische Akteure im Kalten Krieg: Das Beispiel Schweiz


Thomas Riegler (Wien)
Gladio-Mythos und Realität: Die Ursprünge und Funktion von stay behind im Nachkriegs-Österreich

 

In der Debatte rund um „Fake News” und Desinformation wird auf die Popularität von Verschwörungstheorien hingewiesen. Weit verbreitet sind Behauptungen, dass Terrorismus staatlich gesteuert sei und die Täter nur Marionetten seien. Umso wichtiger ist es, quellengestützte Analysen entgegenzusetzen. Dieses Panel versteht sich als Beitrag zu einer Versachlichung der Debatte rund um „Staatsterrorismus“. Der erste Beitrag von Thomas Riegler konzentriert sich auf das NATO-Programm „stay behind“ (auch als „Gladio“ bekannt), das im Verschwörungs-Diskurs einen prominenten Platz einnimmt. Als zweiter Vortragender nimmt Adrian Hänni eine Bewertung des internationalen Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre vor – dieser wird oft als von der Sowjetunion gesteuert interpretiert. Und schließlich beschäftigt sich der dritte Beitrag von Przemyslaw Gasztold mit einem konkreten Fall: Der Kooperation des polnischen Militärgeheimdiensts mit dem Waffenhändler Monzer Al-Kassar.

 

Chair: Irene Etzersdorfer (Wien)

Przemysław Gasztold (Warschau): The Viennese Deal: Polish Military Intelligence, Monzer Al-Kassar and International Terrorism, 1983–1985

The talk will discuss the circumstances and the real reasons for the 1985 police raid on the Alkastronic office in Vienna. This company was established in 1983 as a joint enterprise by the Central Engineering Board (Centralny Zarząd Inżynierii–“Cenzin”) – a Polish state-owned company, which was responsible for arms trade, and Monzer Al-Kassar – a notorious Syrian arms dealer, drug trafficker, and terrorist with ties to several secret intelligence agencies from both sides of the Iron Curtain. The presentation will show how the Polish Military Intelligence controlled “Cenzin,” and it will explain why the Warsaw headquarters cooperated with Al-Kassar, what the main reasons for establishing “Alkastronic” enterprise in Vienna were and, finally, why Polish spies, who worked there, were involved in smuggling US-made TOW anti-tank missiles to Iran.

Vortrag in englischer Sprache

Adrian Hänni (Freienbach): Staaten und terroristische Akteure im Kalten Krieg: Das Beispiel Schweiz

Im Verlaufe des letzten Jahrzehnts hat die Forschung zum Verhältnis zwischen Staaten und terroristischen Akteuren einen Quantensprung nach vorne gemacht – vor allem durch den Zugang zu neuem Quellenmaterial. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse zeigen zum Beispiel, dass es, anders als in der älteren Literatur angenommen, zahlreiche Abstufungen zwischen aktiver Unterstützung und direkter Konfrontation mit terroristischen Gruppen gab. Auch waren die Unterschiede zwischen westlichen Demokratien und sozialistischen Staaten in Osteuropa nicht so eindeutig wie lange Zeit angenommen. Und es zeigt sich, dass es eine Fülle ganz bestimmter Motive für Staaten gab, terroristischen Gruppen Unterstützung zu gewähren. Die Präsentation wird zunächst den Status quo der diesbezüglichen Forschungsdebatte darstellen. Danach wird näher auf das Beispiel der Schweiz und ihrer Beziehungen zu palästinensischen Terrorgruppen eingegangen.

Thomas Riegler (Wien): Gladio-Mythos und Realität: Die Ursprünge und Funktion von stay behind im Nachkriegs-Österreich

Das NATO „stay behind”-Netzwerk, auch bekannt unter seinem italienischen Codenamen „Gladio”, ist mittlerweile zum Synonym für Staatsterrorismus geworden. Ursprünglich als Partisanentruppe für den Fall einer Invasion des Warschauer Pakts konzipiert, soll stay behind auch aktiviert worden sein, um kommunistische Machtübernahmen zu verhindern. Sporadische rechtsextreme Terrorakte wurden angeblich dazu verwendet, um spannungsgeladene politische Situationen zu erzeugen, in denen sich die Bevölkerungen hinter dem konservativen Status Quo versammelten.
Ziel dieses Beitrags ist es, einige dieser Annahmen kritische zu hinterfragen – vor allem die Behauptung, „stay behind” habe eine verdeckte Rolle hinter terroristischen Anschlägen in Westeuropa in den 1970er- und 1980er-Jahren gespielt. Kürzlich freigegebene Dokumente zum Hintergrund und Aufbau von „stay behind” in Nachkriegs-Österreich erlauben einen faktenbasierten Zugang zu einem Phänomen, das hauptsächlich ein Mittel für unkonventionelle Kriegsführung gegen eine mögliche Invasion der Roten Armee gewesen ist. Zusammengefasst geht es darum, den Diskurs rund um stay behind zu hinterfragen, neue Primärquellen zu präsentieren und eine nüchterne Bewertung dieses kontroversen Themas vorzuschlagen.