43 I Mediale Selbstzeugnisse. Oral History Interviews, Amateurfilm, Video
7. April 2018
16:00–17:30
Seminarraum 7
Liis Jõhvik (Tallinn)
Get a reel life! Memory and gender in Soviet Estonian home movies and amateur films
>< Vortrag in englischer Sprache
Martin Tschiggerl/Thomas Walach (Wien/Wien)
„Atatürk und Sankt Nikolaus, das ist das Gute!“ Kinder als Produzenten von Oral History
Renée Winter (Wien)
Videogeschichte. Mediale Praktiken als Selbsttechnologien
Die Einzelbeiträge des Panels beschäftigen sich mit Selbstzeugnissen und Erzählungen des eigenen Lebens in unterschiedlichen medialen Formaten. Vorgestellt werden: ein Oral History Projekt, das lebensgeschichtliche Erzählungen von Kindern einer Wiener Schule versammelt; sowjetische Amateurfilme, die vom estnischen Fernsehen gesammelt und wiederaufgegriffen wurden; sowie Video als Medium der Selbstbeobachtung, Selbstoptimierung und Selbstermächtigung. Während der Fokus auf verschiedenen Perspektiven liegt – auf Generation und sozialer Herkunft, auf Geschlecht und Erinnerung sowie auf der Arbeit am Selbst – verbindet die Beiträge die Frage nach der Medialität der Selbstzeugnisse und deren Auswirkung auf die darin hergestellten Selbstthematisierungen.
Dieses Panel wurde vom ZGT18-Team aus Einzeleinreichungen zusammengestellt.
Chair: Christina Wieder (Wien)
Liis Jõhvik (Tallinn): Get a reel life! Memory and gender in Soviet Estonian home movies and amateur films
The Estonian Public Broadcasting has been archiving old home movies, many of which were reappropriated for the TV-series “8 mm LIFE“ (2014–2015). The home movies shot predominantly between 1960 to 1991 depict late socialism in Estonia through the quotidian moments such as children growing up, day-trips, holidays, collective work, communal living, birthdays, weddings and pets.The presentation will discuss how the past is rethought through the illusion of “watching together“ those clips. The paper is inspired, among others, by Marta Langford’s study of “speaking album” and will look into how “watching together” and interviewing the people shot and/or shown in the films enable to understand the memory dynamics and to analyse the reconstruction of self and subjectivity of then and now. It will analyse how performing the “watching together” and showing the interviews with the people involved influences the ways the late socialism in Estonia is remembered and rethought, how gender, memory, and nation are reconstructed in the practice of home movies, and what alternative cultural, social, and political reflection spaces are opened up by watching the films together in the present.
Vortrag in englischer Sprache
Martin Tschiggerl/Thomas Walach (Wien/Wien): „Atatürk und Sankt Nikolaus, das ist das Gute!“ Kinder als Produzenten von Oral History
Im Rahmen des eingereichten Vortrags möchten wir ein Oral-History-Projekt präsentieren, das wir gemeinsam mit Studierenden der Universität Wien 2017 entwickelt haben. In Einzelgesprächen mit Studierenden erzählten Kinder im Alter von 13 bis 14 Jahren von Aspekten ihrer Lebenswelten, deren (geschichts-)wissenschaftliche Erfassung von zwei Besonderheiten gekennzeichnet ist: Zunächst repräsentieren die befragten Kinder aus demographischer Perspektive Minderheiten – fast alle haben Migrationshintergrund und besuchen eine Schule mit außergewöhnlich hohem Anteil an Schülern und Schülerinnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch. Die zweite Besonderheit ist, dass in diesem Projekt dezidiert Kinder befragt wurden, um Oral-History Quellen für zukünftige geschichtswissenschaftliche Forschungen zu produzieren. Erste Analysen der Gespräche wurden nach Projektende in dem Sammelband „Brennpunkte“ veröffentlicht. Um die Erzählungen der Kinder auch für die Nachwelt zugänglich zu machen, wurden die Gespräche zur Gänze digitalisiert und im Langzeitdatenarchiv „Phaidra“ der Universität Wien gespeichert.
Renée Winter (Wien): Videogeschichte. Mediale Praktiken als Selbsttechnologien
In der vergleichsweise kurzen Geschichte (ca. Ende der 1950er- bis Anfang der 2010er-Jahre) von Video auf Magnetband bildeten sich spezifische mediale Praktiken heraus, die auf die Her- und Darstellung des Selbst sowie auf seine Veränderung und Verbesserung gerichtet waren. Video aktualisierte und verhandelte dabei auch Gebrauchsweisen historisch vorhergegangener (audio-)visueller Medien wie (Schmal-)Film und Fotografie. Die These von Video als Übergangsmedium, das neue Formen der Selbsttechnologien hervorbrachte und begünstigte, die unter anderem in Debatten um aktuelle Medientechnologien eine zentrale Rolle einnehmen, soll anhand von drei Feldern und deren zugehörigen Praktiken umrissen werden: 1) Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung in Psychotherapie, Ausbildung und Coaching, 2) Selbstermächtigung und Demokratisierung im aktivistischen Gebrauch von Video und 3) auto/biographischer Gebrauch von Video im Kontext der historischen Veränderung von Konzeptionen des Privaten/Öffentlichen.