18 I Vom Umgang mit Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht
6. April 2018
10:45–12:15
Seminarraum 5
Philipp Mittnik (Wien)
Aufgabenstellungen zu Nationalsozialismus bei der österreichischen Matura. Ergebnisse einer quantitativen Erhebung
Lale Yildirim (Berlin)
Das (historische) Inklusionsangebot der AKP
Christian Pichler (Klagenfurt)
Zeitgeschichte in der neuen Reifeprüfung: Wissen – Kompetenz – Orientierung
Christoph Kühberger (Salzburg)
Nationalsozialismus, Holocaust und Erinnerungskultur in der Schule – empirische Einblicke zu Herausforderungen
Der Umgang mit Vergangenheit ist an Schulen im Geschichtsunterricht institutionalisiert und somit gesellschaftlich hoch relevant. Doch was passiert dort? Welche Herausforderungen warten auf die Lehrer_innen und Schüler_innen? In den letzten zehn Jahren etablierte sich im deutschsprachigen Raum eine lebhafte Szene an empirischen geschichtsdidaktischen Forschungsarbeiten, die vor allem auch zeitgeschichtliche Themen aufgriffen. Der Panel versucht einerseits rezente Entwicklungen des Geschichtsunterrichtes vorzustellen, aber auch andererseits hinsichtlich geschichtsdidaktischer Fragen zu profilieren, etwa mit Annäherungen an das zeithistorischen Lernen und Prüfen im Schulsystem. Die Zeit des Nationalsozialismus und das türkische Verfassungsreferendum stehen dabei im Fokus.
Damit wird der Umgang mit „heißer Geschichte“ in Demokratien exemplarisch begutachtet und man wird sich die Frage stellen müssen, ob nicht vieles, was in der Schule ausgebreitet wird, nicht zu abgekühlt wahrgenommen wird.
Chair: Thomas Hellmuth (Wien)
Philipp Mittnik (Wien): Aufgabenstellungen zu Nationalsozialismus bei der österreichischen Matura. Ergebnisse einer quantitativen Erhebung
Der Vortrag soll inhaltliche, als auch geschichtsdidaktische Schwerpunkte bei Aufgabenstellungen bei der österreichischen Reifeprüfung aus dem Themenbereich Nationalsozialismus präsentieren. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Vollerhebung an Wiener AHS-Standorten aus dem Jahr 2014 (Mittnik, 2014). Im Unterrichtsfach Geschichte gibt es keine zentral vorgegebenen Aufgabenstellungen, diese werden von den Lehrer_innen verfasst. Daraus ist ein Kanon an Themenfeldern abzulesen, der – von Seiten der Lehrer_innen – als gesellschaftlich relevant angesehen wird. Eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus ist vergleichbar zu anderen Studien (Von Borries, 2004, 268) bei den Reifeprüfungsaufgaben kaum bemerkbar. In Berlin ordneten Studierende Nationalsozialismus nicht unter die wichtigsten Themen der Geschichte (Lücke & Brüning, 2013, 149). Diese Tendenz ist in Österreich nicht bemerkbar, jedoch sind die Fragestellungen sehr deutlich an Schulbuchnarrativen orientiert.
Lale Yildirim (Berlin): Das (historische) Inklusionsangebot der AKP
Am 16. April 2017 stimmten in der Türkei 51,41 % der Wähler mit für das geplante Verfassungsreferendum. In Europa lebende Türken stimmten im Vergleich deutlich höher mit „Ja“ [In Deutschland 63 % und in Österreich 73,2 %. Quelle: Eurostat, Oberste Wahlkommission der Türkei (YSK), dpa, Anadolu Ajansi]. Wie konnte die AK-Partei gerade die türkeistämmige Bevölkerung in Europa so erfolgreich mobilisieren? Im Vortrag soll auf der Grundlage meiner Dissertationsstudie „Nerden nereye.“ [„Woher, wohin.“] ein Erklärungsversuch vorgenommen werden. Hierbei sollen historische Identitäts- und Inklusionsangebote der AKP-Regierung aufgezeigt und ihre Anziehungskraft für die türkeistämmige Bevölkerung mit Migrationshintergrund reflektiert werden, um aktuelle zeithistorische Entwicklungen von Migration und Migrationswahrnehmung darzustellen.
Christian Pichler (Klagenfurt): Zeitgeschichte in der neuen Reifeprüfung: Wissen – Kompetenz – Orientierung
Die Einführung des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts hat ein neues Paradigma gebracht. Die teilweise Abkehr von Inhalts- und Problemfokussierung zugunsten der Entwicklung historischer Kompetenzen betrifft auch die Zeitgeschichte. Manifest werden die Resultate der Unterrichtsarbeit u. a. in der mündlichen Reifeprüfung. Daher werden Ergebnisse zur Geschichte-Matura, die sich mit deren Funktion als Kompetenzmessverfahren auseinandersetzt, dargestellt. Untersucht wurden 30 AHS-Reifeprüfungen. Die Prüfungen wurden tondokumentiert, transkribiert und gemäß den Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Der Vortrag nimmt folgende Aspekte in den Blick:
• Kompetenzorientierung der Aufgabenstellungen
• Historischen Kompetenzen
• Niveaustufe der Kompetenzen
Das Ergebnis zeigt Verbesserungsmöglichkeiten in allen Bereichen: Aufgabendesign (Operatoreneinsatz), Kontextualisierung der Materialanalyse (Transfer), Gesprächsführung (Narrativität), Urteilsbildung.
Christoph Kühberger (Salzburg): Nationalsozialismus, Holocaust und Erinnerungskultur in der Schule – empirische Einblicke zu Herausforderungen
Der Umgang mit dem Nationalsozialismus und Holocaust sowie auch deren geschichtskulturelle Verarbeitung in einer Erinnerungskultur, etwa an Gedenkstätten, standen im Mittelpunkt einer quantitativen Untersuchung an Neuen Mittelschulen in der Stadt Salzburg. Den Impuls dazu gaben rechtsextreme Umtriebe vor einigen Jahren und der Generalverdacht, dass die heutige Jugend keinen Zugang zum Thema finden würde. Und in der Tat findet die Aushandlung in einer Migrationsgesellschaft, wie der österreichischen, ganz anders statt als in einer „autochthon“ gedachten. Die Diskursteilnehmer_innen sind dispers und haben ganz unterschiedliche Prägungen. Die empirische Erhebung berücksichtigte daher neben der Schülerperspektive auch die der Lehrer_innen, um über eine Datatriangulation den Gegenstand besser fassen zu können. Die Ergebnisse zeigen durchaus überraschende Momente und Anzeichen, woran das Schulsystem und die Gesellschaft hinkünftig zu arbeiten hat.