20 I Formen und Strategien des Sprechens von Gewalt

 
6. April 2018
10:45–12:15
Seminarraum 8


Heidrun Zettelbauer (Graz)
Platzhalter im Sprechen der Gewalt. Vergeschlechtlichte Formen der Diskursivierung von Gewalt im Feld der Kriegsfürsorge im Ersten Weltkrieg


Lisbeth Matzer (Köln)
Zwischen Opfer-Narrativ und Tatgemeinschaft? – Erzählungen von Jugend im Nationalsozialismus post-1945


Stefan Benedik (Wien)
Aneignungen des zerschmetterten Körpers: Inszenierung von Gewalt und Ermächtigung in Erinnerungsprojekten von Romani Künstler_innen

 

Ausgehend von einem Gewaltbegriff, der neben der Analyse des Tötens und Verletzens von Körpern auch eine Untersuchung struktureller und psychischer Gewaltprozesse in einem erweiterten Sinn ermöglicht (J. Galtung), thematisiert das geplante Panel anhand von drei Fallbeispielen Formen von Gewalt in unterschiedlichen zeithistorischen Kontexten und behandelt dabei je unterschiedliche Strategien und Funktionen im Repräsentieren von Gewalt. Einen gemeinsamen Bezugspunkt aller Beiträge bildet dabei erstens die Frage nach der Spezifik von Kontexten und Konstellationen, in denen Gewalt durch Subjekte erzählt/geschrieben oder kollektiv erinnert und kulturell diskursiviert wird. In den Blick genommen werden zweitens Prozesse der Aushandlung von Benennungen von Gewalt und Gewalthandeln und – damit verschränkt – je spezifische Formen von Partizipation, Beteiligung und/oder Kompliz_innenschaft. Drittens setzen alle geplanten Beiträge die Frage nach Gewalt/Gewalthandeln als diskursive Leerstelle ins Zentrum ihrer jeweiligen Überlegungen.

 

Chair: Tino Schlench (Wien)

Heidrun Zettelbauer (Graz): Platzhalter im Sprechen der Gewalt. Vergeschlechtlichte Formen der Diskursivierung von Gewalt im Feld der Kriegsfürsorge im Ersten Weltkrieg

Die aktuelle geschlechterhistorische Forschung fasst den diskursiven „Triumph der Geschlechtertrennung“ im Ersten Weltkrieg (F. Thébaud) als Reaktion auf die Erschütterung und Destabilisierung hegemonialer zeitgenössischer Geschlechterordnungen. Die beständige Transgression moderner Geschlechterrepräsentationen wird zugleich als Strukturmerkmal der Kriegsgesellschaft begriffen. Am Beispiel unterschiedlicher Akteurinnen im Feld der (freiwilligen) Kriegsfürsorge befasst sich der Beitrag mit dem Zusammenhang der De/Restabilisierung von Geschlecht und Diskursivierungen der (Kriegs-)Gewalt. Obwohl den Kriegs-Rhetoriken eine dichotome Setzung männlicher Verletzungsmacht und weiblicher Heilungsmacht unabdingbar eingeschrieben scheint, erhellt die Analyse von Prozessen der Re-Affirmation hegemonialer Gendernormen immer auch das Changieren von Geschlecht im Feld der Gewalt und verweist zugleich auf rhetorische Überbrückungen, Umgehungen oder Ersetzungen im (Aus-)Sprechen der Gewalt des Krieges.

Lisbeth Matzer (Köln): Zwischen Opfer-Narrativ und Tatgemeinschaft? – Erzählungen von Jugend im Nationalsozialismus post-1945

Die – notfalls gewaltvolle – Verteidigung und der Schutz der „Volksgemeinschaft“ gegenüber „Volksfeinden“ war integrales Ziel der Indoktrinationsbemühungen innerhalb der NS-Jugendorganisationen. Bilden Jugendliche, die diesen Indoktrinierungsversuchen ausgesetzt waren, ein „Opfer“-Kollektiv oder zählen sie – aufgrund ihrer (nicht verweigerten) Mitgliedschaft bzw. ihrer auch begeisterten Teilnahme – zur Gruppe der „(Mit-)Täter*innen“? Ist eine Mitgliedschaft im letztgenannten Kollektiv rein an ein mörderisches Verbrechen geknüpft? Am Beispiel retrospektiver Selbst- und Fremderzählungen von und über ehemalige/n Mitglieder/n der Hitler-Jugend thematisiert der geplante Beitrag deren diskursive Strategien, Grenzen und Kontexte. Die Analyse von Erzählungen psychischer, struktureller und körperlicher Gewalthandlungen und -erfahrungen zielt dabei ab auf eine adäquate Differenzierung der genannten pauschalen Kategorisierungen.

Stefan Benedik (Wien): Aneignungen des zerschmetterten Körpers: Inszenierung von Gewalt und Ermächtigung in Erinnerungsprojekten von Romani Künstler_innen

In der Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen gegenüber Rom_nija nimmt die narrative Verhandlung von Gewalt eine zentrale Rolle auf zumindest zwei Ebenen ein: Einerseits wird dabei die historische, in ihrem Kern nicht diskursivierbare Erfahrung von Entrechtung, Entmenschlichung und Ermordung angedeutet, andererseits bewegen sich solche Verhandlungen selbst in einem Kontext, in dem Romani Akteur_innen ständig strukturell der Gewalt von Diskriminierung und Silencing ausgesetzt werden.
Der Vortrag untersucht, wie Romani Künstler_innen in ihren erinnerungsbezogenen Arbeiten diese beiden Formen von Gewalt (verschränkt oder explizit getrennt) inszenieren. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, welche Möglichkeiten sie sich zur Neupositionierung, der Aushandlung von Agency und damit dem Neuschreiben von individuellen wie kollektiven Geschichten von Romani Opferschaft eröffnen. In diesen Prozessen ist die Form, in der Akteur_innen den Körper/das Geschlecht von durch die Nationalsozialist_innen ermordeten Menschen rahmen, entscheidend.