10 I Auto/Biografie, Geschlecht und Zeitgeschichte in Relation

5. April 2018
16:15–17:45
Seminarraum 5


Berthold Molden (Wien)
Flüchtige Figuren. Zur Spurensicherung weiblichen Handelns in Familienbiografien


Corinna Oesch (Wien)
Relationen zwischen Biografien  


Johanna Gehmacher/Katharina Prager (Wien/Wien)
Auto/Biografie begreifen – Ein Dialog  

 

Inanspruchnahme und Deutung biografischer Formen sind nach wie vor durch das historische Konzept europäischer Individualität und damit verbundenen Machtverhältnissen geprägt. Auto/Biografien stellen meist vorbildhafte, einheitliche Selbstentwürfe durch männliche, oft privilegierte Individuen dar. Als soziale Räume, relationale Beziehungsgeflechte oder Schnittstellen von Diskursen werden biografische Formen erst seit kurzem begriffen. Während die angloamerikanische (Literatur-)Wissenschaft in den letzten Jahren Begrifflichkeiten diskutiert und diese Perspektiven mit Transkulturalität und Gender zusammendenkt, fehlen Zeithistoriker_innen oft Theorien, um Auto/Biografien als verwobene Auseinandersetzungen, als Kontakt- und Verhandlungszone von Kollektiven, Netzwerken, Familien zu analysieren, dabei Relevanz zu argumentieren und (fehlende) Quellen einzuschreiben. Dieses Panel berichtet aus der auto/biografischen Forschungspraxis und diskutiert Wege und Irrwege sowie Begriffe und Methoden.

 

Chair: Maria Wirth (Wien)

Berthold Molden (Wien): Flüchtige Figuren. Zur Spurensicherung weiblichen Handelns in Familienbiografien

„Wenn die Tante Fanny nicht schon früh nach Amerika gegangen wäre, dann wäre der Rest der Familie wohl nicht dem Hitler entkommen. Aber wie das genau war, das wissen wir leider nicht.“ Wer sich zeithistorischen Familienbiografien widmet, hat fast stets mit der Flüchtigkeit der Protagonistinnen zu tun. Die Quellenlage zu ihrer Rolle im Familienkollektiv ist meist deutlich dürftiger als zu jener der männlichen Verwandten. Hat die untersuchte Familie eine historische „Leitfigur“, welche die Untersuchung der Kollektivgeschichte überhaupt zu rechtfertigen scheint, so ist dies für gewöhnlich ein Mann, oft ein Patriarch, zu der gerade Frauen meist in untergeordneter Relation stehen. Der Vortrag zeigt anhand einer „österreichisch-kommunistischen“ Familienbiografie rund um die „Kernfamilie“ Bronja, Leo und Friedrich Katz typische Problemstellungen in Archiven und Familiennarrationen ebenso wie Möglichkeiten, der Flüchtigkeit weiblichen Handelns in Quellenlage und Darstellung zu begegnen.

Corinna Oesch (Wien): Relationen zwischen Biografien

In meinen bisherigen biografischen Forschungen zur Komponistin Maria Hofer, der Musikverlegerin und Frauenrechtlerin Yella Hertzka und der Frauenrechtlerin und völkischen Agitatorin Käthe Schirmacher habe ich ausgehend von Liz Stanleys ‚anti-spotlight-approach‘ persönlichen Beziehungen und Vernetzungen einen hohen Stellenwert eingeräumt. Im Fokus standen Freund_innenschaften sowie in/formelle Netzwerke in der Frauenbewegung. Welche Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen evozieren biografische Darstellungen, in denen Frauen als biografiewürdig und in Relation zu anderen Frauen gezeigt werden? Zugleich stehen diese drei Biografien in einer spezifischen Relation, da persönliche Beziehungen der Frauen von dazumal die heutigen Forschungen mitinitiiert und geprägt haben. Im Rückblick zeigt sich das janusköpfige Moment einer auto/biografischen Beziehung, die je nach Wahl der Perspektive für die involvierten Frauen sehr unterschiedlich gedeutet werden kann.

Johanna Gehmacher / Katharina Prager (Wien/Wien): Auto/Biografie begreifen – Ein Dialog

Insbesondere die angloamerikanische (Literatur-)Wissenschaft (Stanley, Smith/Watson, Pletsch etc.) hat in den letzten Jahrzehnten Begrifflichkeiten eingeführt, um abseits der Selbstentwürfe von Individuen Zugriff auf die Relationalität von Auto/Biografien zu nehmen, dabei auch Transkulturalität und Gender miteinbeziehend. Termini wie Auto/Biografie, Life Writing, relationale Autobiografie bereiten in ihrer Anwendung im zeithistorischen Kontext allerdings immer wieder Probleme und müssen vielfach umgedacht werden. Gerade in der Zeitgeschichte wäre es aber wichtig, biografische Quellen als verwobene Auseinandersetzungen von Personen, Kollektiven und (informellen) Netzwerken zu. In einem Dialog sollen nicht nur die Chancen und Schwierigkeiten etablierter Begriffe aufgezeigt werden. Es soll auch darüber nachgedacht werden, welche Auswirkungen Relationalität auf biografische Darstellungen hat, warum Familienbiografien en vogue sind, die Definition eines Kollektivs abseits politischer Organisationen aber oft unklar bleibt, und wo in diesem Zusammenhang womöglich auch Grenzen des Biografischen liegen.