11 I Vom Bürger zum Soldaten und retour – Kriegsgefangene, Invalide und Heimkehrende im Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit

 
5. April 2018
16:15–17:45
Seminarraum 7


Matthias Egger (Salzburg)
Der Invalidenaustausch an der Ostfront 1915–1918 aus internationaler Perspektive
Vortrag abgesagt


Thomas Rohringer (Wien)
Schreiben zwischen Soldat und Bürger. Petitionen deutsch- und tschechischsprachiger Kriegsinvalider 1914–1919


Karen Bähr (Erfurt)
Grenzüberschreitende Heimkehrerzählungen. Selbstzeugnisse und Literatur in Deutschland und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg


Clemens Ableidinger (Wien)
Der Erste Weltkrieg in den Standesprotokollen der Psychiatrie Mauer-Öhling

 

Der Erste Weltkrieg ersetzte Grenzen durch Fronten und führte Millionen Soldaten und Zivilisten auf vormals fremdes Staatsgebiet. Schon vor der Demobilisierung kehrten viele versehrt und/oder psychisch erkrankt aus der Gefangenschaft oder aus anderen Internierungsstätten zurück. Im Aushandlungsprozess zwischen Aufnahmegesellschaft und Heimkehrenden veränderten sich Selbstverständnis und Beziehung von Staat und Bürgern. Dieses Panel beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Landesgrenzen und der Selbstverortung der historischen Subjekte während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit. Die Analyse verschiedener Quellentypen wie Protokollbücher, Akten, Selbstzeugnisse und literarischer Texte eröffnet vielfältige Perspektiven auf Versorgung und Unterbringung während des Krieges und auf Heimkehr und Wiedereingliederung. Der Kriegsgefangenenaustausch verfeindeter Staaten, das Petitionsverhalten Kriegsinvalider verschiedener Sprachgruppen, die psychiatrische Versorgung von Kriegsgefangenen, Invaliden und Flüchtlingen sowie grenzüberschreitende Heimkehrerzählungen werfen inter- und transnationale Fragestellungen auf, denen wir in diesem Panel nachgehen wollen.


Dieses Panel wurde vom ZGT18-Team um einen Vortag erweitert.

 


Chair: Karlo Ruzicic-Kessler (Bozen)

Matthias Egger (Salzburg): Der Invalidenaustausch an der Ostfront 1915–1918 aus internationaler Perspektive

Im Sommer des Jahres 1915 schlossen Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland ein Abkommen, das den Weg für eine vorzeitige Repartierung invalider und/oder schwerkranker Kriegsgefangener öffnete. Auf dieser Basis konnten bis Ende Jänner 1918 über 63.000 Männer in ihre Heimatstaaten zurückkehren. Im Rahmen des vorliegenden Beitrages werden der Verhandlungsprozess, die Bestimmungen des Abkommens und die Durchführung des Invalidenaustausches an der Ostfront aus internationaler, vergleichender Perspektive untersucht, wobei die einschlägigen Abkommen an der Westfront bzw. zwischen Österreich-Ungarn und Italien (1916) als Bezugspunkte dienen.

Thomas Rohringer (Wien): Schreiben zwischen Soldat und Bürger. Petitionen deutsch- und tschechischsprachiger Kriegsinvalider 1914–1919

Der Vortrag untersucht die Re-Integrationsmaßnahmen für Kriegsinvalide in der Habsburgermonarchie, in Deutsch-Österreich und der Tschechoslowakei von 1914 bis 1919. Während Kriegsbeschädigte in Petitionen eine Anstellung im Staatsdienst forderten, sah der Staat vorrangig eine Rückkehr zum Vorkriegsberuf als gelungene Re-Integration an. In der Auseinandersetzung mit den Kriegsinvaliden entwickelten staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure Maßnahmen, um diese Re-Integration durchzusetzen. Umgekehrt transformierte dies, wie Kriegsbeschädigte ihre Ansprüche formulierten. Das Pflicht- und (implizit reziproke) Loyalitätsverhältnis zwischen Soldaten und Staat(-en) wurde daher konflikthaft neu definiert, als soziale Re-Integration in den Mittelpunkt der Fürsorge rückte. Petitionen als Teilhabe am politischen Prozess und als (narrative) Konstruktion sozialer Zugehörigkeit geben so Einblick in die wechselseitige Konstitution von Selbst und Staat über die Umbruchsphase 1918/19 hinaus.

Karen Bähr (Erfurt): Grenzüberschreitende Heimkehrerzählungen. Selbstzeugnisse und Literatur in Deutschland und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg

Das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie hatten im Ersten Weltkrieg gemeinsam gekämpft und verloren. Im Herbst 1918 waren schätzungsweise sechs Millionen deutsche und zwei Millionen vormals habsburgische Angehörige von Heer und Hilfspersonal auf dem Weg zu ihren Heimatorten. Die Rückkehr führte bei vielen Heimkehrenden zu einer individuellen Neukonzeption des Selbstbildes und zu Aushandlungsprozessen in der Gesellschaft. War das deutsch-österreichische Verhältnis vor und während des Krieges eher konfliktbehaftet, kann man für die Heimkehrerfahrung Anzeichen einer Erzählgemeinschaft feststellen. So wird Heimkehrerliteratur sowohl grenzüberschreitend produziert als auch rezipiert. Am Beispiel der Heimkehrerfahrung von Autoren und der von ihnen verfassten Literatur werden verschiedene Heimkehrernarrative vorgestellt und so die Frage beantwortet, wie Heimkehrende öffentlich dargestellt wurden und wie vor allem die männlichen Heimkehrer als Autoren den Diskurs prägten.

Clemens Ableidinger (Wien): Der Erste Weltkrieg in den Standesprotokollen der Psychiatrie Mauer-Öhling

Anhand der Standesprotokolle der Psychiatrie Mauer-Öhling wurde der Einfluss des Ersten Weltkriegs auf die Patienten der „Heil- und Pflegeanstalt“ untersucht. Standesprotokolle stellen Indizes dar, in denen als psychiatrisch und administrativ relevant erlebte Daten erfasst wurden und die Pfleglinge durch diese kategorisiert wurden. Sie erlauben daher trotz ihrer Einschränkungen fundierte quantitative Aussagen über die Entwicklung der Population während des Ersten Weltkrieges.
Auf Basis der Standesprotokolle wurde der Einfluss des Ersten Weltkrieges auf die Patientinnen- und Patientenpopulation der Psychiatrie Mauer-Öhling analysiert. Dadurch entstand ein Bild eines zivilen psychiatrischen Spitals, das die vom Kriegszittererdiskurs dominierte Darstellung der Psychiatrien ergänzt und Aufschluss über die psychiatrische Betreuung von kriegstypischen sozialen Gruppen sowie über die Funktion einer zivilen Psychiatrie im militarisierten Gesundheitswesen der Habsburgermonarchie gibt.