2 I NS-Ideologien in Österreich nach 1945

 
5. April 2018
12:30–14:00
Seminarraum 5



Christian Klösch (Wien)
Lagerstadt Wolfsberg – Die Erinnerung an das Ruthenenlager, STALAG XVIIIA und NS-Interniertenlager im regionalen und internationalen Kontext


Margit Reiter (Wien)
Der große Unbekannte: Anton Reinthaller – NS-Multifunktionär, nationale Galionsfigur und erster FPÖ-Obmann


Matthias Falter (Wien)
„Ewiggestrige“? Problematische Effekte des geschichtspolitischen Framings von Rechtsextremismus

 

Dieses Panel beleuchtet einzelne Aspekte des Nachwirkens des Nationalsozialismus und damit einhergehender Geschichtspolitik in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft. Das britische NS-Interniertenlager Wolfsberg (1945-47) war jahrzehntelang weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Christian Klösch untersucht die lokale Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus anhand der Geschichte des Lagers und den Erinnerungen ehemalige Lagerinsassen. Der Beitrag von Margit Reiter behandelt die politische NS-Karriere Anton Reinthallers vor/während und nach dem „Anschluss“ 1938 sowie seine zentrale Rolle im „Ehemaligen“-Milieu und bei der Gründung der FPÖ. Am Beispiel des ersten FPÖ-Obmanns, der bis heute eine unbekannte Größe darstellt, werden NS-Kontinuitäten, Transformationen und Anpassungsprozesse ehemaliger Nationalsozialist_innen im ersten Nachkriegsjahrzehnt beleuchtet. Matthias Falter richtet den Blick schließlich auf die ambivalente Funktion der Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Rechtsextremismus in Österreich seit 1999. Neben wichtiger demokratiepolitischer Abgrenzung kann es dabei auch zur impliziten Legitimierung modernisierter und ‚entnazifizierter’ Formen extrem rechter Politik kommen.

 

Chair: Bernhard Weidinger (Wien)
 

Dieses Panel wurde vom ZGT18-Team aus Einzeleinreichungen zusammengestellt.

Christian Klösch (Wien): Lagerstadt Wolfsberg – Die Erinnerung an das Ruthenenlager, STALAG XVIIIA und NS-Interniertenlager im regionalen und internationalen Kontext

Wolfsberg hat im 20. Jahrhundert eine lange Tradition als „Lagerstadt“: Zwischen 19141917 befand sich hier ein Flüchtlingslager mit bis zu 8.000 ruthenischen Flüchtlingen, von 1941-1945 ein Kriegsgefangenlager, das von 19451947 von den britischen Besatzungsmacht als NS-Interniertenlager benutzt wurde. Während noch Spuren des Flüchtlingslager und der Kriegsgefangenlagers im Stadtbild zu finden sind, ist das NS-Interniertenlager, obwohl hier mehrere hundert LavanttalerInnen interniert waren, vollkommen aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Auf den Orten der drei Lager befindet sich heute ein Gewerbegebiet und eine Siedlung. Erst durch die Ausstellung „Lagerstadt Wolfsberg“ (2013) im Museum im Lavant-Haus änderte sich die Situation. Dabei erweisen sich die Angehörigen der ehemaligen POWs, die bisher zu zwei Treffen (2013 und 2017) mit jeweils an die 120 TeilnehmerInnen in Wolfsberg waren als wichtige Impulsgeber, sowohl für die museale Sichtbarmachung der Lagergeschichte durch das Errichten von Gedenktafeln im öffentlichen Raum und das Durchbrechen familiärer Tabus.

Margit Reiter (Wien): Der große Unbekannte: Anton Reinthaller – NS-Multifunktionär, nationale Galionsfigur und erster FPÖ-Obmann

Anton Reinthaller (18951958) war bereits 1928 der NSDAP beigetreten und wurde in der illegalen österreichischen NSDAP dem „gemäßigten“ Flügel mit guten Kontakten zum austrofaschistischem Regime zugeordnet. 1938 wurde Reinthaller im Kabinett Seyß-Inquart Landwirtschaftsminister und hatte noch diverse hohe NS-Funktionen inne. Nach 1945 wurde der SS-Brigadeführer interniert und 1950 in einem Volksgerichtsprozess zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Begnadigung fungierte Reinthaller als Galionsfigur im „Ehemaligen“-Milieu und war federführend an der Gründung der FPÖ beteiligt, deren erster Bundesobmann er wurde.
Der Vortrag basiert auf der erstmaligen Auswertung des bisher noch unbearbeiteten Nachlasses von Reinthaller (OÖLA) und behandelt u.a. die NS-Karriere Reinthallers vor/während und nach dem „Anschluss“ 1938 und seine zentrale Rolle im „Ehemaligen“-Milieu“ und bei der Gründung der FPÖ. Seine nachträglichen Selbstpräsentationen und die mythisierende Darstellung in der FPÖ wird ebenfalls kritisch hinterfragt. Die gesellschaftliche Relevanz ergibt sich daraus, dass Reinthaller als Gründer der FPÖ, die sich nach wie vor positiv auf ihn bezieht, als zentrale Person der österreichischen Zeitgeschichte firmiert.

Matthias Falter (Wien): „Ewiggestrige“? Problematische Effekte des geschichtspolitischen Framings von Rechtsextremismus

Öffentliche Debatten über Rechtsextremismus sind in Österreich stark geschichtspolitisch aufgeladen. Diese geschichtspolitische Rahmung findet ihren Ausdruck in der Abgrenzung zum Nationalsozialismus und in den Appellen des ‚Nie Wieder’. Der Beitrag zeigt am Beispiel parlamentarischer Debatten in Österreich seit 1999, dass die geschichtspolitische Rahmung von Rechtsextremismus jedoch ambivalent ist. Denn die Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Rechtsextremismus durch eine ausschließlich geschichtspolitische Folie kann zu einer thematischen Verengung und Historisierung des Phänomens führen. Dadurch werden modernisierte und ‚entnazifizierte’ Formen extrem rechter Politik zumindest implizit legitimiert sowie autoritäre und rassistische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft ausgeblendet.