5 I „Eine Nation, die ihre Vergangenheit vergisst, hat keine Zukunft“. Erinnern als Notwendigkeit und Problem im Kontext außereuropäischen Nationbuildings
5. April 2018
14:15–15:45
Seminarraum 4
Thomas Spielbüchler (Linz)
Erinnern versus Wiederversöhnung. Die Risiken einer zentral gelenkten Erinnerungskultur am Beispiel Ruanda
Harald Werber (Salzburg)
Welche Vergangenheit gilt es zu erinnern? Historiographische Diskurse in Kiribati
Jochen Gollhammer (Salzburg)
Die ANZACs und der Mythos Gallipoli. Die Erinnerungskultur in Neuseeland im Aufbruch?
Von Winston Churchill stammt die gerade für Historikerinnen und Historiker als Aufforderung zu verstehende Mahnung im Titel. Der schwierige Umgang mit der Vergangenheit versteht sich in der österreichischen Zeitgeschichte primär als Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Gräuel. Erinnern, Erinnerungspolitik und offizielle Historiographie sind aber auch Hoffnungs- und Problemfelder im postkolonialen oder Post-Cold War Kontext. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit macht deutlich, wie sehr damit die Zukunft einer Nation gestaltet werden kann.
Chair: Martina Gugglberger (Linz)
Thomas Spielbüchler (Linz): Erinnern versus Wiederversöhnung. Die Risiken einer zentral gelenkten Erinnerungskultur am Beispiel Ruanda
1994 gipfelte der ethnisch verstandene Konflikt in der ruandischen Gesellschaft in einem Völkermord. Präsident Paul Kagame hat seither die Wiederversöhnung der Nation zu einer seiner zentralen politischen Aufgaben gemacht. „Erinnern“ ist dabei ein bewusst eingesetztes Instrument, eine Anklage gegenüber der internationalen Gemeinschaft und Waffe gegen Kritiker im eigenen Land. Dabei werden Probleme einer staatlich gelenkten Erinnerungskultur deutlich, die das Potential haben, den schwierigen und langfristigen Prozess der Wiederversöhnung zu gefährden, was einem Scheitern des Staates gleichkommen würde.
Harald Werber (Salzburg): Welche Vergangenheit gilt es zu erinnern? Historiographische Diskurse in Kiribati
Strikt wird in den traditionellen Erzählungen Kiribati zwischen der „indigenen“ Vergangenheit und jener Periode der Machtlosigkeit im Zeitalter der kolonialen Fremdbestimmung unterschieden. Moderne Machtinteressen und wirtschaftliche Notwendigkeiten verlangen nun jedoch nach einer Integration beider Erzählstränge in eine nationale Historiographie. Im Zuge dieses Diskurses entstehen neue Narrative, welche ihrerseits wirksame Instrumente der individuellen sowie der nationalen Identität werden. Spannungsfelder eröffnen sich spezielle in der Frage des Umgangs mit der winzigen, ökonomisch jedoch einst bedeutsamen Insel Banaba/Ocean Island.
Jochen Gollhammer (Salzburg) Die ANZACs und der Mythos Gallipoli. Die Erinnerungskultur in Neuseeland im Aufbruch?
Seit der Besiedelung durch Europäer war kaum ein Ereignis für die zukünftige Nationalstaatsbildung Neuseelands prägender als die verloren gegangene Schlacht von Gallipoli in der Türkei im Ersten Weltkrieg. Bereits ein Jahr später wurde die von oben verordnete Erinnerungskultur eingeleitet und der 25. April als Anzac-Day zum nationalen Gedenktag erklärt. Generationen von Neuseeländern wuchsen mit dem Mythos auf und nahmen wie selbstverständlich an den jährlichen Gedenkveranstaltungen teil. Ein kritisches Hinterfragen war nicht erwünscht. Mittlerweile besteht eine zunehmende Verstimmung über die exklusive Art und Weise des Kriegsgedenkens am Anzac-Day. Außerdem verlangt ein immer größer werdender Teil der Öffentlichkeit auch den kolonialen Kriegen zwischen der britischen Kolonialmacht und den indigenen Māori zu gedenken. Dies wirft Fragen auf, wie postkoloniale Länder, wie Neuseeland, problematische Aspekte ihrer Vergangenheit aufarbeiten.